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Stephan Zimmermann — Technik mit Seele

Stephan Zimmermann ist einer der meist beschäftigten Trompeter Deutschlands. Er ist u.a. Mitglied der Allotria Jazzband, spielt in diversen Big Bands, lehrt an immerhin drei Musikhochschulen und unterhält ein eigenes, prominent besetztes Quintett, mit dem er gerade eine CD veröffentlicht hat, welche die „heilenden Kräfte“ des Jazz beschwört. Seine Kompositionen stellt er – fast schon demonstrativ – mitten ins Zentrum des Modern Jazz, dorthin also, wo die Messlatte besonders hoch liegt. Und er überspringt sie mühelos. Vor allem deshalb, weil bei ihm die Inspiration hörbar mit der stetig gewachsenen Präzision Schritt gehalten hat. So steht „Healing Forces“ für eine Musik, auf die sich Jazzliebhaber leicht verständigen können. Und vor allem für jene hohe Qualität, die zeitlos ist.

Ihr aktuelles Album heisst "Healing Forces". Worauf beziehen sich diese heilenden Kräfte – auf die Musik oder auf das Musizieren?
Sowohl als auch. Wenn ich mich mit Musik beschäftige oder spiele erlebe ich eine Art der Meditation. Ich fühle ich mich weitgehend von äußeren Einflüssen befreit. Somit hat das ganze einen guten Effekt, der mich ein bisschen von Gedanken abhält, die einen ja wirklich manchmal krank werden lassen können.

Worauf beruht diese Wirkung von Musik genau? Hat sie etwas mit dem im Vergleich zur Wort- und vielfach auch Bildsprache "abstrakteren" Charakter zu tun, damit dass sie nichts Gegenständliches bezeichnet und allein schon deshalb anders auf uns einwirkt?
Ich denke, dass Musik eine Kunstform ist, die von jedem unterschiedlich gehört oder gefühlt wird. Für den einen sind bestimmte Stücke oder Klänge aufregend, für den anderen entspannend. Somit entstehen auch unterschiedliche Bilder. Musik klingt ja nicht einfach so, sie wird regelrecht von den Musikern erschaffen, so wie der Maler ein Bild erschafft. Eines meiner Stücke heißt zum Beispiel "A short cat dream". Wenn jetzt der Zuhörer die Story zu diesem Stück kennt, kann er wirklich einige Katzenszenen darin erspähen.

Viele Themen auf „Healing Forces“ haben das Potenzial eines Klassikers – ich denke z.B. an das Titelstück oder an "My Giraffe". Hat sich Ihr Kompositionsstil, Ihre Vorstellung von Melodieführung über die Jahre verändert?
Das freut mich natürlich, dass Sie das so sehen. Meine Ideen verändern sich ständig, da ich für meine Musik keine Regeln oder Techniken aufstelle um danach zu verfahren. Wenn ich etwas schreibe entsteht alles in diesem Moment und aus dieser Idee. Für die exakte endgültige Fassung der Komposition kann ich mich erst dann entscheiden, wenn ich das ganze einmal in der Grundfassung gehört oder gespielt habe. Meistens feile ich hier und da noch an den Akkorden oder an bestimmten Melodietönen. That´s it.

Ich könnte mir die meisten Ihrer Stücke auch für großes Ensemble vorstellen. Arbeiten Sie auch als Komponist und Arrangeur für Big Bands?
Ja, es gibt zwei CDs auf denen Kompositionen von mir erschienen sind. Einmal mit der Bobby Burgess Big Band Explosion und dem German Jazzorchester. Weitere Projekte, unter anderem auch mit Streichern sind geplant. Ich arbeite in Sachen Arrangement mit einem guten Freund und unglaublichem Musiker, mit Karsten Gorzel aus Freiburg zusammen. Er kann meine Ideen am besten verstehen und für jegliche von mir gewünschte Formation arrangieren.

Ihr Zusammenspiel mit Jason Seizer am Saxofon erreicht bisweilen die klangliche Tiefe eines kompletten Bläsersatzes.
Jason und ich kennen uns schon lange und er ist der ideale Partner in meinem Quintett. Wir haben viel ausprobiert und mittlerweile hat er die Gabe sich optimal mit meinem Klang zu mischen ohne dass es zu clean oder steril klingt. Der Sound hat immer die richtige Energie. Aber ohne diese Rhythmusgruppe wäre das nicht möglich. Thomas Stabenow steht am Bass, wie ein Fels in der Brandung und manchmal heben Markus Becker und Rick Hollander kurz mal ab. Es wird nie langweilig. Bei meiner Musik achte ich sehr darauf, dass es immer verschiedene Dinge in Sachen Interpretation gibt. Wir gehen in der Band sehr offen miteinander um und besprechen vor den Konzerten oder auch im Studio nur das Nötigste. Das lässt uns immer wieder unglaubliche Dinge erleben, die sehr interessant sind und die eine musikalische Eintönigkeit nicht aufkommen lassen.

Sie sind u.a. auch als Dozent an verschiedenen Hochschulen tätig. Wie würden Sie das Ausbildungsniveau hierzulande im internationalen Vergleich beschreiben?
Ich finde das Niveau sehr hoch. Ich persönlich habe einige Studenten die sehr gut spielen und auch schon Kulturpreise gewonnen haben. Alle können sich durchaus in der Szene behaupten.

Haben Sie den Eindruck, um ein unschönes Wort zu gebrauchen, "marktkonform" auszubilden? Anders gefragt: Wie sehen Sie die Berufschancen Ihrer Studenten?
Nun, jeder Student hat eigene Ansichten und Vorstellungen was er gerne machen möchte. Ich brauche eine gewisse Zeit um jeden einzuschätzen. Was ich in den ersten Jahren des Studiums mache, ist verschiedene Stilrichtungen, Stücke, Sounds auszuarbeiten, um jedem einzelnen seine Ausdrucksmöglichkeiten aufzuzeigen. Da wird dann erst einmal so gut wie möglich kopiert. Früher oder später wird jeder sein Ding selbst finden, was ich für sehr wichtig halte. Es macht ja keinen Sinn, wenn alle irgendwann gleich klingen. Nur so hat jeder die Chance gehört zu werden, auf sich aufmerksam zu machen und seinen Platz im Musikbusiness zu finden.

Eine letzte Frage an den Lehrer: Können Sie sich vorstellen, dass es im Jazz noch einmal zu einem großen, verbindlichen stilistischen Aufbruch kommt, der geradezu zwingend stilbildend wirkt? Oder ist der Jazz als die "klassische Musik" des 20. Jahrhunderts weitestgehend ausgelotet?
Wenn Sie mich als Musikpädagogen fragen, denke ich, dass jeder Musiker, egal welchen Stil er studiert hat, eigene Möglichkeiten besitzt, sich individuell auszudrücken und es auch tun sollte. Meistens werden aber die Regeln der bisher studierten Sachen in der Folgezeit als Gesetze betrachtet und so streng befolgt, dass sich nur einige wenige kreative Leute davon lösen können und zu Ihrem eigenen Stil finden. Die Grenzen nach allen Seiten bleiben offen, denke ich. Es ist ja doch immer eine Sache der Definition. Ob Jazz oder Klassik, was bleibt ist Musik.

Volker Doberstein
Erschienen im Jazzpodium.